Schön, schöner, Schöneberg

Natürlich ist der Bezirk Schöneberg viel größer, als ich jemals in kurzer Zeit erlaufen könnte. Ich muss also eine Auswahl treffen und entscheide mich dafür, am Nollendorfplatz auszusteigen. Dieser Platz stellt einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt innerhalb Schönebergs dar. Durch den Verkehrslärm wirkt er eher laut und unwirtlich. Deshalb schlage ich schnell den Weg Richtung Winterfeldtplatz ein. Dort findet mittwochs und samstags ein Wochenmarkt statt. Da es Mittagszeit ist, will ich dort die Möglichkeit nutzen, eine Kleinigkeit essen. Der Markt wirkt ruhig und beschaulich. Bei einem Gemüsehändler kaufe  ich Kirschen und das Schwätzchen über die Schwierigkeit, sich trotz der Schutzmaske noch akustisch verständlich zu machen, lässt ein Gefühl von Vertrautheit entstehen. Die Frau neben mir am Stand wird mit Vornamen angesprochen. Man tauscht sich aus. Irgendwie angenehm. Ich stolpere weiter über den Markt, und komme von einem Imbissstand  zu nächsten. Da gibt es türkische Gerichte, Crepes süß und herzhaft, sehr leckeren Steckerlfisch, Backkartoffeln mit exklusiven Topings und und und. Immer wenn ich glaube, eine Entscheidung getroffen zu haben, entdecke ich noch eine weitere leckere Möglichkeit, um meinen Hunger zu stillen. Letztlich entscheide ich mich für mexikanisch: Tacos mit Rindfleisch und Guacamole. Sehr lecker!

 

Nach der kleinen Stärkung laufe ich die Goltzstrasse entlang. Sie gehört zum sogenannten Akazienkiez. In der Strasse befinden sich nette Cafés, Restaurants, ein Blumen- und diverse Interieur- Läden. Auch einen Bastelladen, der noch wie früher privat betrieben wird, gibt es hier. Auch dort herrscht ein persönlicher Ton.

Ich gehe weiter und sehe, dass eine Nebenstrasse abgesperrt ist. Auf der nun autofreien Autostrasse stehen einzelne Boxen aus Holzgerüsten, die an Himmelbetten erinnern. Nur größer und dass sich im Inneren der Gerüste kein Bett befindet. Die Gerüste sind unterschiedlich gestaltet. Es gibt dort teilweise Bänke und Regale. Ich bin neugierig und schaue, was es damit auf sich hat. Ein Plakat klärt mich auf, dass hier eine Aktion innerhalb des Kultursommers „Akazienkiez“ läuft. Die Anwohner sind aufgerufen, sich mit ihrem Vorlieben und Interessen einzubringen. Es können Yogakurse angeboten werden oder eine kleine Fahrradwerkstatt z.B.  Alles ohne Gewinnabsicht natürlich. Ich sehe in einer der Boxen Regale mit kleinen Pflanzen, die in originellen Gefäßen neue Besitzer suchen. Wahrscheinlich ein Pflanzenfreund*in, der/ die für seine Pflanzensenker ein neues Zuhause sucht. Ich bin fasziniert von der Idee und noch innerlich damit beschäftigt, als ich mich um drehe und dabei fasst einem Mann mittleren Alters und Statur in die Arme laufe. Mir kommt das Gesicht bekannt vor und ich bin vollkommen damit beschäftigt, zu überlegen, woher ich dieses Gesicht kenne. Ich bemerke zunächst nicht, wie verdattert ich den Mann hinterher schaue. Eine Frau, die keine drei Meter von mir in einer dieser Boxen sitzt und raucht, hat die Szene mitbekommen. Sie ruft mir mit ruhiger Stimme und einem bestätigenden Nicken zu: „ Ja, er ist es!“ Erst dann ist mein Gehirn so weit, endlich eine Schublade für dieses Gesicht gefunden zu haben. Er ist ein Schauspieler, der in einer ZDF -Krimiserie an der Seite von Natalia Wörner mitspielt. Ansonsten wird er auch mal gern als narzisstischer Fiesling besetzt. Ich lache die Frau verschämt an. In Berlin laufen einem eben auch mal Menschen über den Weg, die man aus den Medien kennt. Ich muss über mich selbst lachen, weil mich folgendes fasziniert. Ich kenne jemanden aus dem Fernsehen oder Film. Wenn ich diesem Menschen dann in Natura begegne, fühlt sich das ganz vertraut an. Wichtig ist dann nur inne zu halten und nicht gleich dem anderen auf die Schulter zu hauen und zu fragen, wie es so geht ( ist jetzt etwas übertrieben formuliert). Der andere kennt mich ja nicht. Und ist wahrscheinlich ziemlich irritiert von der Situation.

Ich ziehe weiter meine Runde, nun durch die Akazienstrasse. Ich setze mich nehme vor einem Caféschaufenster Platz, welches von einer älteren Frau sehr persönlich geführt wird. Hier gibt es selbstgemachten Kuchen und schöne Dinge für zu Hause. Ich lasse die letzten Eindrücke  auf mich wirken. Alles wirkt hier gediegen, beschaulich, aber auch geerdeter als wie im Prenzlauer Berg. Von allen Vierteln und es waren nur kleine Ausschnitte, fühle ich mich hier am wohlsten. Die Häuser sind abwechslungsreich in der Gestaltung. Viele Balkone, es liegt kein Müll herum, es ist aber auch nicht so perfekt hipp. Die Menschen wirken hier, als wenn man sich schon lange kennt. Im Cafe selbst sitzt ein Mann, der wohl hier öfters einkehrt. Er unterhält sich mit der Betreiberin. Man kennt sich. Die Cafébesitzerin fragt mich noch, ob sie die Markise herunter lassen soll? Ich verneine, obgleich angenehm berührt von so viel Aufmerksamkeit. Wo erlebt man das heute schon? Ich verneine, dankbar für die Sonnenstrahlen, die es in diesem Sommer leider nicht so reichlich gibt. Ich setze nach einem leckeren Cappuccino und einem Stück Johannesbeer-Mohn Torte meinen Weg fort. Die Akazienstrasse mündet in die Potsdamer Strasse. Eine Hauptverkehrsader von Berlin, die direkt zum Potsdamer Platz führt. Laut und unwirtlich. Hier soll es vor vielen Jahren einen Strassenstrich gegeben haben. Dann haben sich dort viele Galerien niedergelassen. Ich laufe die Potsdamer Strasse entlang, kann aber gerade eine dieser Galerien noch finden. Es gibt viele leere Geschäfte und manchmal finde ich noch einen kleinen Hinweis darauf, dass sich dort mal eine Galerie befunden hat. Wahrscheinlich sind sie ein Opfer der vielen Lookdowns geworden. Wobei es schon vor Corona ein Galeriesterben gab. Überleben werden wohl nur die großen Galerien. Das Geschäft mit der Kunst in Onlinegalerien dagegen wächst und wächst, obwohl sich das noch vor ein paar Jahren niemand vorstellen konnte.