Sommer vorm Balkon
Nun bin ich also angekommen in meiner Berliner Altbauwohnung. Ein ganz typischer Gründerzeitbau mit Stuckdecken und alten abgeschliffenen Dielen. Die zwei Balkone gehen zur Strasse heraus, die sich belebter als erwartet herausstellt. Nun gut, Ruhe habe ich zu Hause in meinem Atelier genug. Dafür habe ich hier jede Menge zu beobachten. Den Döner- Imbiss mit seinen Gästen an der Kreuzung, die Tische des Bistros unten drunter auf dem Bürgersteig, die Passanten, die eilig ihres Weges gehen. Neukölln ist definitiv ein sehr lebendiger Stadtteil. Jeder dritte Laden ist gefühlt ein Döner- Imbiss oder ein Barbiergeschäft. Überall sitzen arabische Männer an den Straßentischen und unterhalten sich. Wenn ich auf meinem Balkon sitze, so brandet untern drunter der Neuköllner Verkehr. Ab und zu dringt arabische Diskomusik aus den Autoradios herauf zu mir, zusammen mit dem Duft von Frittierfett. Es kommt Urlaubsstimmung auf. Ich könnte auch irgendwo in der Türkei sein. Bereits zwei Hochzeitskorsos konnte ich miterleben. Dann wird das mit Blumen geschmückte Auto des Brautpaares begleitet von zahllosen Autos der vielen Cousins, die sich hupend vorwärts bewegen. Die anderen Verkehrsteilnehmer sind gezwungen für einen Moment anzuhalten und das Spektakel bei zu wohnen.
Bei meinem Rundgang durch Neukölln fallen mir verschiedene Dinge auf. Ich hatte eine tristere Bausubstanz erwartet. Aber hier gibt es in den Straßenzügen viele Bäume und Balkone an vielen Fassaden. Neben den Gründerzeitbauten gibt es jede Menge sanierte und wenige unsanierte Häuser jüngerer Zeit bis hin zu modernen Neubauten. Was mir auffällt, sind Aushänge, auf welchen zum Bürgerprotest gegen geplante Neubebauungen aufgerufen wird. „Neukölln bleibt dreckig“ lese ich auf einem Graffiti an einer Hauswand, welches an den Künstler Banksy erinnert. Hier ist der Kampf gegen die Gentrifizierung noch in vollem Gange, der im Prenzlauer Berg schon längst entschieden ist. Hier gibt es noch erschwinglichen Wohnraum, aber auch der ist gefährdet. Mir fallen immer wieder Zettel an Straßenlaternen mit Wohnungsgesuchen auf. Bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware in Berlin.
Neukölln ist bunt, viele künstlerische Graffitis sehe ich hier an den Hausfassaden, Regenbogenfahnen hängen aus Fenstern und von Balkonen. Aber es ist auch dreckig, an viele Ecken liegt achtlos weggeworfener Müll.
Aber es gibt hier auch jede Menge Parkanlagen. Was für eine Überraschung! Manchmal nur ganz kleine, wo man sich aber auf jeden Fall auf eine der Bänke setzen kann. In größeren Anlagen sind oft Spielplätze zu finden. Die Menschen treffen sich hier zum Sonnen oder Picknicken. Es gibt in den Strassen und an den Parks jede Menge Cafés, Kneipen, Restaurants und Läden. Streetlife pur. Das gefällt mir sehr. Es sind nicht nur bloße Schlafviertel, sondern es gibt Möglichkeiten sich zu treffen und am öffentlichen Leben teilzunehmen. Das würde ich mir von Halle auch wünschen. Gerade Trotha hat wenig Geschäfte oder gar Cafés. Eine neue Eisdiele hat letztens als Lichtblick eröffnet. Die einzige Bank in einem kleinen Grünstreifen vor einem Supermarkt, wurde während der Coronahochzeit entfernt. Damit wollte man es Menschen, die dem Alkohol sehr zugetan sind, schwer machen, sich hier nieder zulassen. Aber zurück zu Neukölln. Hervorzuheben ist zum einen der Körnerpark. Ein Kleinod barocker Gartenkunst, welches ich hier nie vermutet hätte. Mit kurz gehaltenem Rasen, befestigten Wegen und aufgestellten Blumenkübeln, in denen der blaue Agapanthus blüht. An der östlichen Spitze lädt ein Wasserfall zum Verweilen ein. Alles wirkt sehr gepflegt. Nur das „Zitronencafe´“ was diese kleine Idylle perfekt gemacht hat, ist leider ein Opfer der vielen Lockdowns geworden.
Das andere Highlight stellt das Tempelhofer Feld dar. Einst zum ehemaligen Flughafen gehörend, ist es nach einer Abstimmung durch die Bevölkerung zur Freizeitgestaltung freigegeben worden. Das westliche Ende, welches sich in Neukölln befindet, ist eine riesige Freifläche, mit der alten Start- und Landebahn. Auf diesem treffen sich jetzt Jung und Alt, um verschiedenen Freizeitbeschäftigungen nach zu gehen. Hier werden Segeldrachen steigen gelassen, das neue Skateboard ausprobiert oder Inline skates gefahren. Auf den angrenzenden Wiesen liegen Menschen auf ihren Decken und genießen die Weite des Himmels. Am äußersten Rand wurde ein Grillplatz eingerichtet, den gerade arabische Familien sehr dankbar annehmen. Hier herrscht reges Treiben. Wie eine Oase in dieser Weite wirkt ein Gemeinschaftsgarten, der mit seinen Bäumen und Sträuchern hier angelegt wurde. Verschiedene Bürgerinitiativen und Anwohner haben hier die frei zugänglichen Hochbeete errichtet. Jeder, der Lust hat, kann hier Gemüse und Obst anbauen. Ich koste Brombeeren und kann den Zuchinis beim Wachsen zu schauen. Zwischen den Hochbeeten, laden viele Sitzgelegenheiten zum Verweilen und Schwatzen ein.
Ich könnte noch jede Menge über Neukölln schreiben. Es ist definitiv ein bunter und vielfältiger Stadtteil, lebendig, laut aber auch mit vielen ruhigen Ecken.