Kontraste

 

Heute bin ich im Prenzlauer Berg unterwegs, rund um den Kollwitz- und den Helmholzplatz.

Was mir hier sofort auffällt, ist das südländische Flair der Strassen. An den Fassaden sind auch wieder Balkone reich vorhanden. Aber hier sind sie wesentlich öfter bepflanzt. An vielen Häuserwänden ranken sich zusätzlich Kletterpflanzen in die Höhe. Es hat alles eine entspannte, südländisch anmutende Atmosphäre. Ich fühle mich nach Italien versetzt. Auch hier wachsen viele Bäume neben den Strassen.

 

Statt Dönerläden, scheint es hier gefühlt an jeder dritten Ecke einen Buchladen zu geben. Dazu gesellen sich schnell Läden für Yoga-, Papier und Teebedarf. Die verschiedenen Straßencafés und Restaurants locken mit ihren Außensitzen. Hier lässt man sich gern nieder. Alles scheint wesentlich sauberer und entschleunigter als in Neukölln zu sein. Bei einem chremigen Milchkaffee im angesagten Café „Anna Blume“ komme ich ins Nachdenken.

 

Schon schön hier. Aber leider muss man sich diese Idylle auch leisten können. Nirgendwo sind die Mieten in den letzten zwanzig Jahren so explodiert wie im Prenzlauer Berg. Alle wollen hier hin. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Als Künstlerin weiß ich aber auch, dass ein Bild erst spannend durch Kontraste wird. Hier, so wohltuend die Atmosphäre auch auf mich wirken mag, fehlen diese. Alle die nicht in das schöne Bild passen, werden immer mehr verdrängt. Dafür sehe ich viele junge und hippe Familien sowie gutsituierte Mittvierziger: die Gewinner der Leistungsgesellschaft. Doch eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn sie alle Mitglieder, auch die schlechter Verdienenden, integrieren kann. Das passiert hier im Prenzlauer Berg wohl nicht mehr. In den 80- und 90er Jahren kamen als erstes die Künstler hier her, da die Mieten niedrig waren. Niemand sonst wollte in den herunter gekommenen Altbauten wohnen. Nachdem viele Galerien und Szenecafés infolge entstanden, wurde das Viertel „ in“, was wiederum auch besser verdienende Menschen anzog. Die Häuser wurden saniert und die Mieten explodierten auf Grund der Nachfrage ins Unendliche. Ich habe mir sagen lassen, dass, trotz hoher Mieten man sich mit 2000 anderen Mitbewerbern konfrontiert sieht, wenn man sich hier eine Wohnung mieten möchte. Die Künstler von damals sind schon wieder in weniger „schöne“ Wohnviertel weiter gezogen. Mittlerweile sind Künstler nicht mehr gern gesehen, weil man davon ausgehen kann, dass dort, wo sie sich niederlassen, in zwanzig Jahren die Gentrifizierung zuschlagen wird. Schade, dass Kunst zwar zunächst die Lebensqualität von Menschen verbessern kann, aber sich dann gegen den Menschen zu wenden scheint. Das System erstirbt an seiner eigenen  Gier und Sattheit, dabei braucht es für Entwicklung immer Reibung und Kontraste.